«Wir leiden in der Schweiz am Filetwahnsinn»
Christoph Jenzer über Nachhaltigkeit im Metzger-Geschäft, Fleisch-Spezialitäten aus «Abfall» und fehlenden Nachwuchs.
Beschreiben Sie Ihr Unternehmen in wenigen Sätzen.
Christoph Jenzer: Wie der Name schon sagt: Früher waren wir eine Metzgerei, jetzt heissen wir «Jenzer Fleisch & Feinkost». Denn im Angebot stehen neben Fleisch auch Fisch, Käse und unsere eigene Vegi-Produktlinie. Wir führen inzwischen Fach-Geschäfte an drei Standorten, wobei der Hauptsitz mit Fleisch-Verarbeitung, Wurstküche und Partyservice in Arlesheim liegt. Hier betreiben wir auch den Gasthof Ochsen. Insgesamt sind rund 100 gelernte Fachleute bei uns im Einsatz.
Wie ist Ihr Unternehmen entstanden?
Dieses Jahr feiern wir das 125-jährige Bestehen unseres Familienbetriebs mit aktueller Beteiligung aus dritter, vierter und fünfter Generation! Es ist ein Glück, dass in unserer Geschichte niemand «Seich» gebaut hat. Das ist nicht selbstverständlich – unternehmerische Fehlentscheide sind immer möglich. In der Zeit zwischen 1990 und 2010 mussten wir wachsen, um eine optimale Grösse für die eigene Produktion zu erreichen. Jetzt sind wir kerngesund und haben gute Chancen für die Zukunft, daher wollen wir nicht mehr wachsen.
Warum nicht?
Wachstum bedeutet immer auch eine gewisse Trägheit. Plötzlich bräuchte Jenzer eine ganze Führungsetage, mit einem Marketingchef, einem Personalchef und so weiter. Das verursacht hohe Mehrkosten, verlangsamt und verkompliziert die Abläufe. Unter den Kleinen gehören wir hingegen zu den Grossen. Das sollten wir beibehalten.
Wie sind Sie in den Betrieb gekommen?
Ich habe die Lehre im Familienbetrieb gemacht – wie mein Sohn und meine Tochter übrigens auch. Danach habe ich die Berufsmatur und eine kaufmännische Lehre abgeschlossen. Es folgten Stationen in einer Gross-Metzgerei, um Erfahrungen zu sammeln. Ich stand am Laufband und sah die riesigen Mengen Fleisch, die dort verarbeitet wurden. Diese Arbeit erschien mir sinnlos. Anschliessend legte ich Kurzstopps als Koch und Skilehrer in einer Wintersaison ein. All das hat mich geprägt. Zwischenzeitlich kamen noch mehrere Weiterbildungen dazu – zum Beispiel zum Metzgermeister.
Im Jahr 1997 übernahmen Sie dann den Betrieb Ihres Vaters. Richtig?
Das war ein dynamischer Prozess, viele Jahre leiteten wir gemeinsam das Unternehmen. Mein Vater sagte nicht einfach von heute auf morgen: «Sohn, jetzt übernimmst du das Geschäft». Er ist inzwischen übrigens 88 und hilft immer noch im Betrieb mit.
Hat er immer noch das letzte Wort?
Nein, so würde ich es nicht sagen. Aber klar, auch heute noch bespreche ich wichtige Entscheide mit ihm. Dabei geht es aber nicht darum, das finale «Ja» oder «Nein» von ihm abzuholen, sondern um seine Meinung, die ich sehr schätze. Wenn es mir nicht gelingt, ihn zu überzeugen, ist für mich klar, dass ich das Projekt nochmal überdenken muss.
«Ich habe das Privileg, die Welt in meinem Umfeld ein Stück weit zu verbessern – zum Beispiel bezüglich des Tierwohls.»
Christoph Jenzer
Selbständig zu sein. Was bedeutet Ihnen das?
Ich gehe weiter und frage: Was treibt mich an? Warum mache ich das alles? Eigentlich könnte ich alles verkaufen und auf eine Insel gehen und chillen.
Klingt verlockend. Warum tun Sie es nicht?
Mein Job und Leidenschaft ist es, Veränderungen in unserem Unternehmen herbeizuführen. Das können neue Mitarbeiter, Produkte oder Preis-Gestaltungen sein. All das geht schlussendlich auf mich zurück. Was hingegen das Tagesgeschäft betrifft, vertraue ich meinen Mitarbeitern und delegiere viel: Zum Beispiel sind in meinem Betrieb andere für den Ein- und Verkauf zuständig. Ich bin also nicht das Leitpferd, das die ganze Last allein trägt. Ich bin eher der Kutscher oder die «Schaltzentrale». Das hat den Vorteil, dass ich freier und nicht andauernd müde bin.
Was können Sie konkret verändern?
Ich habe das Privileg, die Welt in meinem Umfeld ein Stück weit zu verbessern. Als Metzger verarbeite ich viele Tiere. Deshalb ist es von grosser Tragweite, wenn ich entscheide, dass diese ein gutes Leben haben sollen. Darüber hinaus kann ich versuchen, andere Berufskollegen von meinen Ansichten zu überzeugen. Beispielsweise davon, dass es absolut keinen Sinn macht, Fleisch aus Neuseeland einzufliegen. Ehrenamtlich engagiere ich mich zudem für das Bikefestival-Basel und die Förderung des Velofahrens für Jugendliche.
Mein Dorfmetzger meint, dass sich die meisten Kunden nicht dafür interessieren, woher das Fleisch stammt.
Da bin ich komplett anderer Meinung! Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Tieren und entscheiden über ihr Wohl. Darum gibt es bei uns in den Fachgeschäften nur Fleisch von Tieren aus Freilandhaltung. Wir haben nur Produkte aus der Schweiz und solches aus Irland, das mit dem Lastwagen importiert wird – Flugtransport ist bei uns verboten! Vielleicht gehen mit dieser Philosophie ein paar Kunden verloren, doch wir haben viel mehr dazugewonnen. Sowieso geht es bei uns im Gegensatz zu anderen nicht nur um «Gwünn, Gwünn, Gwünn».
Sondern?
Wir denken langfristig. Aktuell machen 16 Lernende ihre Ausbildung bei Jenzer. Zudem bauen wir mit dem «Metzger-Haus» ein regionales Schlachthaus und eine Fleisch-Verarbeitungsanlage für regionale Metzger. Das ist für die Folge-Generationen.
Was ist der beste Entscheid, den Sie je getroffen haben?
Dass ich meine Frau Barbara geheiratet habe. Wenn es mit deinem Partner super funktioniert, bleibt viel mehr Energie für alles andere. Als wir uns kennenlernten, war sie Vegetarierin. Sie hat damals mit Nachdruck gefragt, wie es meinen Schweinen geht. Das war der Auslöser dafür, dass wir seit 1997 konsequent nur noch Fleisch aus artgerechter Tierhaltung verarbeiten.
Wo mussten Sie Lehrgeld zahlen?
(Überlegt) In meinem eigenen Betrieb, soweit ich mich erinnere, musste ich nie Lehrgeld zahlen. Extern war das anders: Als ich im Verwaltungsrat des Metzger-Zentrums Zürich sass, mussten wir das Geschäft schliessen. Mit unserem Konzept erreichten wir die Kunden nicht. Diese «Niederlage» hat mich auch für Entscheide im eigenen Betrieb sensibilisiert.
Was schätzen Sie am Baselbiet?
Wir sind hier in Arlesheim auf dem Land. Nur dreihundert Meter weiter beginnt der Wald, die Jurakette erstreckt sich bis nach Genf und zur gleichen Zeit sind es nur zehn Kilometer bis in die Stadt. Von Basel bis Holland beträgt der Höhenunterschied 200 Meter. Das ist doch wirklich einzigartig!
«Die Grossverteiler dominieren rund 80 Prozent des Fleischmarktes. Da muss man die Nischen suchen.»
Christoph Jenzer
Wie bestehen Sie im Konkurrenzkampf mit anderen Metzgereien?
In der Region haben wir noch rund fünfzehn Familien-Metzgereien. Das sind alles Freunde und keine Konkurrenten. Zusammen mit ihnen bauen wir das Metzgerhuus Stadt & Land AG. Die grossen Dominatoren des Fleisch-Marktes sind die Grossverteiler, die rund 80 Prozent des Marktes beherrschen. In diesem Fall muss man die Nischen suchen.
Wenn Sie einen Wunsch an die Politik freihätten, dann?
In Sachen Klimawandel steht uns das Wasser bis zum Hals. Wir wissen, dass unsere Enkelkinder nicht mehr richtig auf diesem Planeten leben können, wenn es so weiter geht. Trotzdem machen wir unbehelligt so weiter. Dort muss jetzt etwas gehen. Solarstrom und Elektro-Mobilität sind derzeit die besten Lösungen. Mit voller Kraft müssen wir uns von den fossilen Energien verabschieden.
Braucht es dazu staatliche Vorgaben?
Für gewisse Dinge bräuchte es sicherlich staatliche Verordnungen. Ich verstehe die Welt nicht mehr, wenn wir es nicht einmal schaffen, eine Solarpflicht für Neubauten einzuführen. Die Auflagen sind zudem zu hoch. Das bekamen wir selbst zu spüren: Wir wollen hier in Arlesheim eine grosse Solaranlage auf dem Dach installieren. Doch es stehen dutzende Hürden im Weg, statt dass es gefördert und begleitet wird.
«Wir weisen provokativ darauf hin, dass wir Spezialitäten aus ABFALL! herstellen.»
Christoph Jenzer
Was bedeutet Ihnen Nachhaltigkeit?
Sie bedeutet uns viel. Ein Beispiel: In der Schweiz landen jährlich eine Million Legehennen im Abfall, obschon sie noch zu Lebensmitteln verarbeitet werden könnten. Absurd! Dagegen wehren wir uns.
Wie?
Bei Jenzer verarbeiten wir pro Jahr 20'000 Legehühner weiter. Das ist leider nicht die Norm, und wir weisen provokativ darauf hin, dass wir «Spezialitäten aus Abfall!» herstellen. Auch sonst sollten wir die Tiere wieder besser verwerten. Im Ochsen, unserem Restaurant, weigern wir uns, Filet anzubieten. Die Schweiz importiert viermal mehr Rinderfilet als hierzulande produziert wird. Wir haben nicht zu wenig Fleisch, sondern leiden am «Filetwahnsinn». Die Ökologie ist Teil der Jenzer-DNA. Wir achten auf kurze Transportwege, reduzieren den Wasser- und Energieverbrauch im Betrieb und verarbeiten wie gesagt nur Tiere aus artgerechter Haltung. Die Zahlen dazu weisen wir auf unserer Website aus.
Die Fleischverarbeitung hat nicht den Ruf, nachhaltig zu sein. Kritiker sagen, dass sie enorm viel Wasser braucht.
Greenpeace, WWF, die Bundesämter für Gesundheit und Landwirtschaft verweisen allesamt immer darauf, wie viel Wasser die Fleischproduktion benötigt. Das sollte man aber differenziert anschauen. Grob geschätzt säuft eine Kuh 50 Liter pro Tag und natürlich verschlingt auch die Fleischverarbeitung viel Wasser. Trotzdem, auch wenn wir alles zusammenzählen, kommt man nie auf die Wasservolumen, welche die Organisationen nennen.
Woher kommt die Differenz?
Sie rechnen das «graue Wasser» ebenfalls mit ein. Es zählt also auch, wie viel Wasser das Futtergras benötigt. Diese Berechnung ist jedoch irreführend: In der Schweiz bewässern keine Bauern ihr Grasland. Das zeigt im Sommer ein Blick auf die Wiesen, die dann braun sind. Zentral ist deshalb, dass das Futter aus der Schweiz kommt.
«Ich sage sogar, Schweizer Fleisch ist klimaneutral.»
Christoph Jenzer
Ein anderer Punkt: Kühe sollen besonders grosse Mengen schädliches CO₂ freisetzen...
Ich sage sogar, Schweizer Fleisch ist eigentlich klimaneutral.
Wie bitte? Das müssen Sie erklären.
Ein Vergleich: Pelletheizungen gelten als CO₂-neutral, da sie Teil eines natürlichen Kreislaufs sind. Ein Baum wird angebaut, dann geschreddert und in Form von Pellets verbrannt, wodurch CO₂ freigesetzt wird. Dieses nehmen dann die Bäume wieder auf. Der tierische Muskel funktioniert ähnlich. Die Kuh «furzt» respektive die Gülle bildet zusätzlich Methan, das als 100-mal schädlicher als Kohlendioxid gilt. Es gibt jedoch neue Studien, die darauf hinweisen, dass sich Methan nach einem Jahr in der Atmosphäre wieder in CO₂ umwandelt. Somit gelangt es ebenfalls zurück in den natürlichen Kreislauf.
Das heisst?
Ich verstehe nicht, warum die Wissenschaft sagt, der Konsum von Fleisch aus der Schweiz sei nicht klimaneutral. Jedenfalls wenn es um Tiere aus der Region geht, die null Importfutter verzerren. Klar ergibt sich ein ganz anderes Bild, wenn ich den Regenwald abholze, um tonnenweise Futtermittel für Nutztiere anzupflanzen.
Wie wird sich der Fleischkonsum entwickeln?
Wir erwarten, dass sich der Fleischkonsum halbiert. Unsere Aufgabe ist jetzt daran zu arbeiten, dass nicht unsere Hälfte zurückgeht.
«In der Schweiz bilden wir viel zu wenige Metzgermeister aus. Es müssten zehnmal mehr sein. Ansonsten kann bald niemand mehr eine Fleischerei führen.»
Christoph Jenzer
Was zeichnet gutes Unternehmertum aus?
Der Name verrät es bereits: Ich behaupte jedoch, dass mehr als die Hälfte unserer Zunft «Unterlasser» statt «Unternehmer» sind. In der Schweiz bilden wir viel zu wenige Metzger-Meister aus. Es müssten zehnmal mehr sein. Ansonsten kann bald niemand mehr eine Fleischerei führen. Dann stirbt unsere Zunft aus. Gleichzeitig bilden die Schweizer Metzger zu wenige Lehrlinge aus. Hierzulande zählten wir einst 4'500 private Metzgereien, heute sind es nur noch deren 850.
Ihr letztes Wort
Leider sind viele Menschen Egoisten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Jeder muss auch für sich selbst schauen und Geld verdienen. Aber so vieles wäre möglich, wenn sich jeder von uns ehrenamtlich betätigen würde und etwas für die Gemeinschaft tut.
Der Grösste unter den Kleinen
Firmengründung: 1898
Anzahl Angestellte: Rund 100 Mitarbeiter (75 Vollzeitstellen)
Adresse
Ermitagestrasse 16, 4144 Arlesheim
Kontakt
Tel: 061 551 00 22
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