08.05.2024 Innovation 9 minMinuten Lesedauer

Ein neues Knie­gelenk ein­setzen mit dem Roboter

Seit Herbst wird am Kantons­­spital Basel­­land der Knie-Roboter «VELYS» genutzt. Ein Besuch im Operationssaal.

Bild: Nils Hinden

Mit seinen Bändern, Knochen und Sehnen ist das Knie komplex. Entsprechend gilt das Einsetzen von Knieprothesen als anspruchsvolle Operation, die nicht immer zur vollen Zufriedenheit der Patienten ausgeht. Weltweit bleiben bei 20 Prozent der Operierten Beschwerden.

Um die Situation zu verbessern und diese Operation nachhaltiger zu machen, hat das Kantonsspital Baselland (KSBL) im November den Operationsroboter «VELYS» eingeführt. Seither unterstützt dieser die Ärzte des KSBL regelmässig beim Einsetzen von künstlichen Kniegelenken.

Beim Kantonsspital verspricht man sich viel vom Roboter. In einer Medienmitteilung schrieb das Spital unlängst, «VELYS» sei eine «wegweisende» Technologie. Konkret soll es künftig dank «VELYS» unter anderem möglich sein, den Oberschenkel- und Schienbeinknochen mit einer Säge millimetergenau zuzuschneiden, sodass die Standard-Knieprothese anschliessend passgenau eingesetzt werden kann.

Davon erhoffen sich die Ärzte eine Reihe von Vorteilen: Die Funktionalität, das Gefühl und die Haltbarkeit des künstlichen Kniegelenks sollen erhöht und die Genesungszeit verkürzt werden.

Alle Bestandteile des Roboters im Bild. Visualisierung: zVg / Johnson & Johsnon

Prime News hatte die Gelegenheit, einer der ersten Operationen des Roboters im KSBL beizuwohnen. Dabei zeigte sich: Es braucht weiterhin den Menschen im Operationssaal. Während «VELYS» im Laufe der Operation mit Daten und Handlungsempfehlungen assistiert, werden die wesentlichen Arbeitsschritte weiterhin von den Ärzten durchgeführt.

Die Operation führten Chefarzt Michael Hirschmann und Oberärztin Natalie Mengis durch. In der Einführungsphase übernehmen sie zusammen mit ihrem Team alle Operationen mit dem Roboter.

v.l.n.r: Prof. Dr. med. Michael Hirschmann und Oberärztin Dr. med. Natalie Mengis. Bild: zVg / Kantonsspital Baselland

Hirschmann hat sich als Chefarzt der Klinik Orthopädie & Traumatologie, bei dem es sich laut KSBL um einen international anerkannten Experten handelt. Gemäss Spital liegt es auch an ihm, dass der Hersteller Johnson & Johnson das Kantonsspital Baselland für die Einführung von «VELYS» hierzulande auswählte. Zwei weitere Schweizer Spitäler erhielten ebenfalls ein Exemplar des Roboters. Ausserdem hat Hirschmann an einem Vorläufermodell von «VELYS» mitgewirkt.

Revisionsoperationen sollen verhindert werden

Gegenüber Prime News weist Hirschmann auf das Verbesserungspotenzial bei Knieprothesen-Operationen hin: Circa 20 Prozent der Patienten, die auf konventionelle Weise eine Knieprothese erhalten, würden später über Komplikationen klagen. Zum Vergleich, bei Hüftprothesen-Operationen würden nur in fünf Prozent der Fälle derartige Beschwerden auftreten. Der Leidensdruck sei für manche Betroffene nach der Kniegelenk-Operation gar wieder so gross, dass sie sich einer zweiten Operation unterziehen müssten, so Hirschmann.

Letzteres ist auch kostspielig: Eine Standardprothese kostet zwischen 3’000 und 5’000 Franken, während eine Revisionsprothese etwa 20’000 Franken kostet ‒ dazu kommen Personal- und andere Kosten.

«VELYS» simuliert die Knochenschnitte vor dem Sägen

Hirschmann und sein Team zeigten Prime News exklusiv, wie «VELYS» die Knie-Operation verbessern soll. Das Herzstück des Roboters ist eine hoch entwickelte Kamera- und Navigationstechnologie, die das geöffnete Knie vermisst. Die gewonnenen Informationen flackern anschliessend in Echtzeit über ein Display. Dort können die Ärzte dutzende Kennzahlen – etwa zur Anatomie des Knies und zur optimalen Ausrichtung der Prothese – ablesen.

Bild: Nils Hinden

Dazu simuliert der Roboter auch gleich die optimalen Sägenschnitte vor dem Sägen. Schnitte? Ja. Die Chirurgen schneiden Oberschenkel- und Schienbeinknochen beim Einsetzen von künstlichen Kniegelenken so zu, dass die Prothese daraufhin möglichst perfekt in das Knie implantiert werden kann. Die Überlegung ist im Grundsatz simpel: Je präziser die Durchführung, desto besser sitzt die Prothese, desto nachhaltiger ist die Operation.

Die herausgeschnittenen Knochenteile. Bild: Nils Hinden

Um eine möglichst präzise Durchführung der Knochenschnitte zu gewährleisten, ist eine gekoppelte Säge in das «VELYS» -System integriert. Die Bedienung der Säge obliegt jedoch weiterhin dem Arzt.

Das alles ist neu: Bei der konventionellen Vorgehensweise greifen die Chirurgen auf ein kompliziertes Schablonensystem zurück. Um damit ein genaues Ergebnis zu erzielen, bedarf es gemäss KSBL langjähriger Erfahrung und ein ausgeprägtes Fingerspitzengefühl des durchführenden Chirurgen.

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Auch jüngere Ärzte sollen operieren

Hirschmann ist zuversichtlich, dass dank «VELYS» Assistenz- und Oberärzte in Zukunft vermehrt selbst Knieprothesen einsetzen können ‒ wie bei Pilot und Copilot. Ausserdem könne «VELYS» dereinst auch eine Chance für Ärzte sein, die Zusammenarbeit mit Robotern zu trainieren und Operationen am Knie zu erlernen.

Bild: Nils Hinden

Weniger Beschwerden

Im Gespräch mit Prime News nennt Hirschmann weitere Vorteile, die er sich von «VELYS» erhofft. Mit Unterstützung des Roboters sollen künftig Fehlstellungen des Knies präziser identifiziert und korrigiert werden können. Denn die Spätfolge von Fehlstellungen sei oftmals die Kniearthrose, welche ein künstliches Kniegelenk oftmals überhaupt erst nötig macht.

Eine Korrektur wurde auch bei der Operation, der Prime News beiwohnte, durchgeführt. Der operierte Patient hatte ein stark ausgeprägtes O-Bein. Um dies zu korrigieren, trugen die Ärzte den Oberschenkelknochen auf der Innenseite stärker ab.

Ob die Technologie jedoch die hohen Erwartungen erfüllen und ob auf lange Sicht wirklich weniger Komplikationen auftreten, könne man erst in ein paar Jahren sagen, so Hirschmann.

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Mit künstlicher Intelligenz anreichern

Erst dann könne man auch sagen, wie kosteneffizient «VELYS» tatsächlich ist. Zum Beispiel spare man Geld, wenn künftig tatsächlich weniger Zweiteingriffe nötig sind.

Das ist jedoch Zukunftsmusik: Momentan würden die Kosten einer Operation mit «VELYS» diejenigen einer herkömmlichen Operation noch übersteigen, so Hirschmann. Beispielsweise sei die Operationsdauer ‒ ein wichtiger Kostenfaktor ‒ derzeit noch länger als bei der konventionellen Methode.

Das wird aller Voraussicht nach nicht so bleiben: Die Chirurgen bauen derzeit aus Sicherheitsgründen weiterhin traditionelle Überprüfungsverfahren ein. Ausserdem sind die Abläufe für das Team teilweise neu. Beides koste Zeit, so die Ärzte des KSBL.

Im Hinblick auf die Zukunft sieht der Chefarzt weiteres Potenzial zur Verbesserung des Roboters. Eine Chance könne es sein, dass «VELYS» in Zukunft mit künstlicher Intelligenz angereichert wird. Diese könnte dann unter anderem mit den im Bruderholz gesammelten Erfahrungswerten trainiert werden, so Hirschmann.

Die Schweiz hinke hinterher:

Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten seien Europa und die Schweiz bei der Einführung von Systemen wie «VELYS» im Rückstand, sagt Chefarzt Hirschmann auf Nachfrage gegenüber Prime News. In den USA seien bereits rund 100'000 Eingriffe mit ähnlichen Systemen vorgenommen worden.

Den Rückstand erklärt der Professor mit der Einführung der neuen Medizinprodukteverordnung (MDR) in Europa, die auch die Schweiz betrifft.

Diese wurde im Nachgang eines Skandals um mangelhafte Brustimplantate eingeführt. Mit Folgen: Die MDR sei ein «Bürokratiemonster» und verlangsame auch hierzulande die Zulassung von Implantaten und Operationsrobotern stark, sagt Hirschmann. Das sei nicht immer so gewesen: «Früher gehörte die Schweiz zu den ersten, die solche Systeme einführten».

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Nils Hinden

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