«Wir leben von der Innovation unserer Grosseltern»
IT-Unternehmer Martin Hänggi sagt, warum in seiner Firma der Mensch im Zentrum steht. Und er warnt vor mehr Regulierung.

Beschreiben Sie ihr Unternehmen in wenigen Sätzen.
Wir von Eotec sind Technologiepartner für Infrastruktur, Gebäude- und IT-Verantwortliche für Audio- und Videotechnik. Damit man sich das ein bisschen besser vorstellen kann: Unsere Kunden vertrauen auf uns, wenn es um professionelle Videoüberwachung, Gegensprechsysteme oder Technik für Meeting- und Konferenzräume geht.
Was zeichnet euch aus?
Wir begleiten Kunden über den ganzen Lebenszyklus ihrer Anlage. Zu Beginn kommt der Kunde meist mit einer Idee oder einem Problem zu uns. Danach arbeiten wir ein Konzept aus. Aber nach der Installation folgt dann der wichtigste Teil: der Betrieb. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, unsere Kunden auch nach der Installation noch eng zu begleiten. Kürzlich sagte mir ein Kunde: «Eine Anlage einbauen kann jeder, aber der Service ist bei euch einfach besser als bei anderen.» Das hat weitere Vorteile: Wenn der eine etwas plant, der andere es umsetzt und nochmal ein anderer für den Betrieb zuständig ist, sind oft Konflikte die Folge. Zudem haben wir in unserer Firmen-DNA eine sehr menschliche und nahbare Kultur. Plakativ könnten man sagen, dass der Mensch im Zentrum steht.
Behaupten nicht alle Unternehmen, dass der Mensch bei ihnen im Mittelpunkt steht?
Das mag so sein. Deshalb schreiben wir das auch nicht an die Hauswand, sondern wollen, dass unsere Kunden, Partner und Mitarbeiter dies erleben. Das Feedback unseren Kunden bestärkt mich, dass man dies spürt. Diese Philosophie hat auch mit der Firmengeschichte zu tun.
Wie ist Eotec entstanden?
Am 14. Juni gibt es Eotec genau 40 Jahre. Die Entstehung ist eine spannende Geschichte. Als der spätere Firmengründer Stefan Schröder 23 Jahre alt war, wollte er mit einem Kollegen drei Monate unbezahlten Urlaub nehmen, um nach Amerika zu reisen. Als er seinen Chef darum bitten wollte, sass dieser gerade im Büro und las Zeitung. Bevor Stefan überhaupt etwas sagen konnte, entgegnete sein Chef: «Ich habe gerade keine Zeit, komm bitte später noch einmal vorbei.» Das hat Stefan so richtig gestört. Er konnte nicht verstehen, dass eine Zeitung wichtiger sein kann als ein Mensch. Als der Chef dann am Nachmittag wieder auf ihn zukam und nachfragte, was er am Morgen für ein Anliegen gehabt habe, sagte Stefan im Affekt: «Ich wollte kündigen» (lacht).
Und dann?
Als er drei Monate später aus Amerika zurückkehrte, hatte er keinen Job mehr. Also machte er sich auf Anraten eines Kollegen selbstständig. So startete Eotec am 1. Februar 1984 mit 16 Quadratmetern Bürofläche.
Heute sind Sie Geschäftsführer und Mehrheitsaktionär. Wie sind Sie dazu gekommen?
Das ist weniger spektakulär. Ich bin gelernter Fernseh- und Radioelektriker. Ich habe nach meinem Lehrabschluss ein weiteres Jahr im Ausbildungsbetrieb gearbeitet. Danach suchte ich einen neuen Job. In dieser Zeit entdeckte ich ein Stellenangebot von Eotec und bewarb mich. So kam es, dass ich vor 22 Jahren bei Eotec als Techniker begann. Ich habe zehn lehrreiche Jahre hier gearbeitet. Ich durfte viele Weiterbildungen machen und wurde gefördert. Dafür bin ich heute noch dankbar. Es war eine rasante Zeit: Ich merkte, dass die Geräte zunehmend mehr Stecker bekommen und wollte noch ein bisschen mehr lernen. Nach einer Dekade, entschied ich jedoch, dass ich an einem anderen Ort weitere Erfahrungen sammeln möchte. Wir trennten uns im Guten. Dann kam ein Jahr später ein wegweisender Tag.
Erzählen Sie.
Rund ein Jahr, nachdem ich die Firma gewechselt hatte, erfuhr ich, dass mein neues Unternehmen in Liquidation geht. An dem Morgen wurde das Konsultationsverfahren zur Massenentlassung aller Mitarbeiter eröffnet. Am selben Tag hatte ich ein Mittagessen mit Stefan. Dabei fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, sein Nachfolger zu werden. Das war im Jahr 2013. Es war ein verrückter Tag.
«Seit den Terroranschlägen am 9/11 haben sich die Risikobeurteilungen vielerorts grundsätzlich verändert.»
Martin Hänggi
Sie übernahmen aber erst 2018 die Firma. Was geschah in der Zwischenzeit?
Ja, ich spürte im Jahr 2013, dass die Zeit für eine Rückkehr noch nicht reif ist und ich noch mehr Erfahrungen sammeln möchte. In der Folge habe ich noch zwei Jahre bei einem grösseren Unternehmen als Projektleiter gearbeitet. Nachdem ich dort ein grosses Projekt abgeschlossen hatte, rief ich Stefan an und kehrte zu Eotec zurück. In der Folge arbeiteten wir drei Jahre miteinander, bis ich dann 100 Prozent der Aktien und auch die Geschäftsleitung übernahm.
Sie schreiben auf Ihrer Website: «In einer komplexer werdenden Welt wachsen Risiken und Gefahren.» Wie haben sich die Risiken und Gefahren in Ihrem Geschäftsbereich in den letzten Jahren entwickelt?
Es gibt mehrere Aspekte: Der Terrorismus spielt in den Köpfen der Menschen eine wichtigere Rolle. Das hat im Jahr 2001 mit 9/11 begonnen. Seither haben sich die Risikobeurteilungen vielerorts grundsätzlich verändert. Parallel dazu hat sich die Kriminalität in den letzten zwanzig Jahren verändert. Insbesondere die bandenmässige Kriminalität hat zugenommen. Das hat es vor dreissig Jahren weniger gegeben. Deshalb brauchte es eine neue Sicherheitsplanung. Die Bedrohungslage hat sich also sicher professionalisiert. Der zweite Punkt ist die Risikowahrnehmung. Es haben sich nicht nur die Risiken verändert, sondern auch unsere gesellschaftliche Sicht auf Gefahren.
Wie meinen Sie das?
Der Mensch strebt nach Sicherheit. Sobald der Mensch einen bestimmten Lebensstandard erreicht hat, will er den nächsten Schritt machen. Daraus resultiert, dass der Mensch die Risiken immer mehr reduzieren will. Oder etwas plakativ: Als man den Gotthard-Eisenbahntunnel baute, sind viele Leute gestorben. Damals wurde das irgendwie mit einem Schulterzucken hingenommen. Heute wäre es ein Riesending, wenn zwei Menschen auf einer Tunnelbaustelle ums Leben kommen würden. Diesen gesellschaftlichen Sinneswandel spüren wir auch.
Welche Rolle spielt das Aufkommen der künstlichen Intelligenz?
Die künstliche Intelligenz wird inzwischen überall eingesetzt. Auch in unseren Produkten sind immer mehr Algorithmen integriert, die auf künstlicher Intelligenz basieren. Dasselbe gilt für den Bereich Cybersecurity. Angreifer setzen in diesem Bereich mittlerweile fast immer auf künstliche Intelligenz. Unsere Aufgabe besteht darin, die Einrichtungen, wie etwa eine Sicherheitstür für ein Areal, so zu gestalten, dass sie gegenüber unbefugtem Zugriff gesichert sind.

Selbständig sein. Was bedeutet Ihnen das?
Ich sehe mich nicht als selbständig. Meine Mitarbeiter unterstützen mich tatkräftig. Deshalb würde ich mich eher als «Unternehmer» bezeichnen. Was das für mich bedeutet? Das hat unterschiedliche Dimensionen. Einerseits geht damit eine grosse Verantwortung gegenüber den Kunden und den Mitarbeitern einher. Man trägt auch soziale Verantwortung. Andererseits hat man als Unternehmer die Möglichkeit, wirklich etwas zu verändern. Wenn ich gesellschaftliche Veränderungen mitgestalten möchte, verfüge ich als Unternehmer über einen grösseren Hebel, als wenn ich angestellt wäre.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Ja, ein Thema ist die Entpersonalisierung der Arbeitswelt. Dem möchten wir entgegenwirken.
Wie?
Ich nehme wahr, dass in bestimmten Bereichen versucht wird, das Menschliche aus der Arbeitswelt zu verdrängen. Beispielsweise geht es im Beschaffungsrecht in diese Richtung. In diesem Bereich geht es nur noch um Zahlen und Fakten. Wir sind mit Eotec bestrebt zu zeigen, dass man auch erfolgreich sein kann, wenn man den Menschen ins Zentrum stellt. Darüber hinaus schätze ich die Freiheit, die ich als Unternehmer habe. Ich habe keinen Chef, dem ich Rechenschaft ablegen muss. Das hat Vor- und Nachteile. Jedenfalls braucht der Mensch auch einen gewissen Druck. Ich muss mir diesen Druck selbst machen (lacht).
«Ich hoffe, dass die Gesamtgesellschaft ein stärkeres Bewusstsein für die Folgen von Regulierungen entwickelt.»
Martin Hänggi
Was war die beste Entscheidung, die Sie je getroffen haben?
Der Entscheid, die Eotec zu übernehmen.
Wo mussten Sie Lehrgeld bezahlen?
Schwierige Frage (lacht). Man lernt jeden Tag dazu. Es gibt da ein passendes Sprichwort: «Wer viel arbeitet, macht viele Fehler und wer keine Fehler macht, wird befördert.» Ich versuche mich davon zu distanzieren. Man darf nicht das Gefühl haben, dass man selber keine Fehler macht. Wichtig ist, dass man aus den Fehlern lernt. Ich habe so viele Dinge gelernt, die aus Fehlern entstanden, dass ich das jetzt nicht so auf den Punkt bringen kann.
Was schätzen Sie an der Region Basel?
Die Nähe. Total verschiedene Dinge sind sehr nah beisammen. Das ist in der Region sehr stark ausgeprägt. Ein Beispiel: Zum einen haben wir die Stadt, zum anderen ist das Land sehr nah. Ich wohne in Hochwald und bin in weniger als zwanzig Minuten in Muttenz. Das ist nicht selbstverständlich. Zudem schätze ich Basels Weltoffenheit sehr, ohne dass dabei unsere Werte auf der Strecke bleiben. Einen Minuspunkt habe ich aber: Ich liebe das Wasser. Entsprechend fehlt mir ein See in der Region.
Wenn Sie einen Wunsch an die Politik freihätten, dann.…
(Überlegt) Da kommen mir einige Wünsche in den Sinn. Es wäre schön, wenn das Stimmvolk im Juni dem Stromgesetz zustimmt. Ich weiss: Das ist kein Wunsch an die Politik, sondern an den Souverän. Darüber hinaus hoffe ich, dass die Gesamtgesellschaft ein stärkeres Bewusstsein für die Folgen von Regulierungen entwickelt.
Konkret?
Auch das sieht man aktuell stark im Beschaffungswesen. Die Absicht und die Ideen von Regulierungen sind öfters sinnvoll. Aber sie führen zu oft zu einem riesigen Mehraufwand für KMUs. Ich nenne ein paar Beispiele: Unsere Kunden müssen immer mehr zu den Hintergründen unserer Waren wissen. Klar: Wir handeln mit Elektronik – und ja, es ist Tatsache, dass in fast jedem Gerät Bauteile aus China enthalten sind. Aber wenn ich nun über die gesamte Lieferkette, die teilweise mehrere Unterhändler umfasst, rapportieren muss, wie die Arbeitsbedingungen sind, stellt dies für unser 40-Mann-Unternehmen eine grosse Anstrengung dar. Für einen staatlichen Auftrag mussten wir kürzlich rund 20 Bestätigungen mitschicken. Das sind für mich Zeichen von Überregulierung, die alles verteuern und wenig konkreten Nutzen bringen.
Was folgern Sie daraus?
Mein Wunsch an die Politik ist, dass das Bewusstsein dafür wächst, dass Regulierungen alleine das Problem nicht lösen. Vielmehr braucht es ein Umdenken in den Köpfen. Leider geht es in eine andere Richtung. Soziale Gerechtigkeit, Umwelt und so weiter: Das sind alles wichtige Themen. Aber wenn wir für alles Reportings machen müssen, ist das für uns als KMU extrem schwierig. Wir müssen aufpassen, dass wir es in Sachen Regulierung nicht so weit treiben wie unsere nördlichen Nachbarn.
Was unterscheidet Eotec von der Konkurrenz?
Die einfache Antwort ist: Die Menschen, die hier arbeiten. Wie gesagt investieren wir ausserdem stark in den Support, um unsere Kunden beim Betrieb unserer Anlagen zu unterstützen. Das ist auch das, was uns von Mitbewerber abhebt. Ich nenne ein Beispiel: Wir bieten für unsere Kunden rund um die Uhr einen Support-Pikettdienst an, der Spezialisten zur Unterstützung heranzieht. Unsere Techniker haben vor einiger Zeit das Commitment abgegeben, dass sie den Pikettdienst mit ihrem Fachwissen flexibel unterstützen. Das heisst: Wenn ein Techniker morgens um zwei einen Anruf von der Gefängnisleitung erhält, weil die Überwachungsanlage im Gefängnis ausgefallen ist, kann ich mitten in der Nacht einen Spezialisten kontaktieren und heranziehen. Das funktioniert in den allermeisten Fällen. Es geht uns dabei nicht in erster Linie um das Geschäft, sondern um die Hilfe unter Kollegen. Wir lassen uns gegenseitig und unsere Kunden nicht in der Suppe sitzen. Ich bin überzeugt, dass sich das ausbezahlt.
Was zeichnet gutes Unternehmertum aus?
Gutes Unternehmertum zeichnet aus, zu wissen, wofür man steht, wer der Kunde ist und was dieser für Bedürfnisse hat. Es heisst auch, dass man die Innovation permanent in die Richtung treibt, dass sie dem Kunden etwas nützt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die primäre Aufgabe eines Unternehmers ist, Kundennutzen zu erzeugen und nicht betriebswirtschaftliche Dinge wie Shareholder-Value. Deshalb: Gutes Unternehmertum ist, wenn es zu einer gesunden Gesellschaft beiträgt. Aber klar, ein Unternehmen muss auch wirtschaftlich sein.
Etwas Privateres: Sie tauchen gerne in kalten Gewässern, wie der Eotec-Website zu entnehmen ist.
Ich bin ein Abenteurer. Die Führung eines Unternehmens ist auch ein Abenteuer. Das wiederholt sich in meinem Leben. Beim Tauchen sehe ich eine Welt, die uns Menschen sonst verborgen ist. Ich tauche auch viel in Höhlen. Wenn es irgendwo ein Loch im Felsen hat, das mit Wasser gefüllt ist und ein Mensch hereinpasst, dann tauche ich dort hinein – auch wenn dies zuvor niemand getan hat. Ich glaube, dass ich einfach dieses Entdecker-Gen habe. Faszinierend finde ich darüber hinaus die Technik, die zum Tauchen im Wasser, also in einer für Menschen total lebenswidrigen Welt, nötig ist.
Ihr letztes Wort.
Dass das Stromgesetz angenommen wird! Ich bin der festen Überzeugung: So wie wir bisher verfahren, können wir nicht weitermachen. Es braucht Veränderung – und verändern tut man sich nicht, indem man Nein sagt. Um das Stromgesetz zu realisieren, haben sich viele Leute Gedanken gemacht, damit eine mehrheitsfähige Lösung entsteht. Perfekt ist das Stromgesetz nicht. Aber wenn wir nur das machen, was perfekt ist, kommen wir nirgends hin. Kürzlich hat mir ein Kraftwerksdirektor gesagt: «Ich wünsche unserer Gesellschaft den Mut und die Innovationskraft unserer Grosseltern.» Da ist etwas Wahres dran. Was unsere Grosseltern geschafft haben, würden wir wohl nicht mehr schaffen. Schon nur all die Wasserkraftwerke, die damals entstanden sind. Heute ist das undenkbar: Wenn man schon nur auf dem Grimsel ein paar Meter aufstocken will, ist der Widerstand riesig. Im Energiebereich leben wir vom Mut unserer Grosseltern. Das müssen wir wieder dahin bringen.
Firmengründung: 1984
Anzahl Angestellte: rund 40
Adresse
Hardstrasse 21, 4132 Muttenz
Kontakt
Tel: 061 467 90 90
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