Freisprüche für Waaghof-Mitarbeitende
Basler Strafgericht sieht zwar krasses Versagen bei Suizidvorfall im Jahr 2018. Die Voraussetzung für eine Verurteilung sei aber nicht erfüllt.
Das Basler Strafgericht hat am Freitag vier Mitarbeitende des Basler Untersuchungsgefängnisses Waaghof vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen sowie Aussetzung freigesprochen.
Den drei Aufsehern und einer Aufseherin wurde seit Dienstag im Zusammenhang mit einem Suizid der Prozess gemacht. 2018 hatte sich eine abgewiesene Asylsuchende in ihrer Zelle stranguliert. Erst nach 13 Minuten alarmierten die Mitarbeitenden die Sanität (Prime News berichtete).
In seiner mündlichen Urteilsbegründung erklärte Gerichtspräsident Dominik Kiener, dass es «aufgrund fehlender Kausalität» und einer strengen Auslegung des Bundesgerichts bei Unterlassungsdelikten zu keiner Verurteilung komme, die Angeklagten aber zu einem Teil die Verfahrenskosten des Vorverfahrens tragen müssen (mehr dazu am Ende des Artikels).
Kiener hielt unmissverständlich fest: «Was hier passiert ist, darf nicht passieren. Dass sich eine Insassin in einer Sicherheitszelle mit Kameraüberwachung seelenruhig erhängen kann, fünf Minuten in dieser Erhängungssituation unentdeckt bleibt und dann nochmals 13 Minuten lang keine Hilfe bekommt, ist ein Versagen des Staates, der Justiz und des Strafvollzugsystems».
Fürsorgepflicht verletzt
Suizide liessen sich nicht immer verhindern, ausserdem müssten die Mitarbeitenden im Gefängnis nicht immer gleich springen, wenn jemand Selbstmordgedanken äussere, zumal dies häufig vorkomme. «Hier liegt aber ein Extremfall vor, der nicht passieren darf.»
Kiener warf den vier Waaghof-Mitarbeitenden vor, sich sehr wohl bewusst gewesen zu sein, sich falsch verhalten zu haben. Es habe sogar Vertuschungsversuche gegeben. Warum einer der Beschuldigten bei der Alarmierung der Einsatzzentrale explizit nicht habe mit der Sanität sprechen wollen, sei unverständlich. «Entgegen Ihren Darstellungen haben Sie nämlich sehr wohl gewusst, was los war», sagte der Gerichtspräsident.
Für das Dreigericht sei zudem klar, dass der Suizid im Affekt erfolgt sei: «Die Asylsuchende war offensichtlich verzweifelt und befand sich erst seit kurzer Zeit in einem strengem Haftregime». Es spiele keine Rolle, was das Aufseher-Team im Vorfeld über die Frau gewusst habe. «Spätestens als Sie in die Zelle kamen und sie dort am Strang hängen sahen, hätten Sie erkennen müssen, was für eine Situation vorliegt. Das alleine ist entscheidend».
«Sie haben die Insassin im Stich gelassen»
Das während der Verhandlung von den Beschuldigten vorgebrachte Argument, überfordert gewesen zu sein und eine mangelnde Ausbildung erhalten zu haben, liess Kiener nicht gelten. «Als Sie die Gefahr schliesslich erkannten, haben Sie richtig gehandelt – der Defibrilator wurde richtig angewendet, die Herzdruck-Massnahme erfolgte korrekt. Das ist auf den Videobildern zu sehen.»
Die Mitarbeitenden hätten – so das Fazit – einen falschen Entscheid getroffen. Mit fehlender Schulung habe das nichts zu tun. «Sie haben die Insassin im Stich gelassen, weil sie davon ausgegangen sind, sie spiele ihnen etwas vor. Das Gericht glaubt ihnen, dass sie der Frau nicht bewusst schaden wollten. Aber Sie unterlagen damit einem Irrtum».
Es liege ein «Sachverhaltsirrtum» vor, erklärte Kiener die juristischen Überlegungen des Gerichts. Weil es keine Absicht der Waaghof-Angestellten gewesen sei, der Insassin zu schaden, bestehe kein Vorsatz. Eine andere Frage sei die Fahrlässigkeit. Die Aufseher und die Aufseherin hätten sich in einer «Garantenstellung» befunden, seien also für das Wohl der Insassin verantwortlich gewesen.
Die Arbeit im Gefängnis sei unbestritten sehr anspruchsvoll. Im Falle eines Notfalls seien aber die Handlungsanweisungen im Waaghof relativ klar. Elementare, ja «banale» Erste-Hilfe-Massnahmen, die man auch ohne spezifische Ausbildung erwarten könne, seien von den Angeklagten nicht vorgenommen worden.
«Sie liessen die Frau stattdessen liegen. Damit haben Sie Ihre Sorgfaltspflichten verletzt», sagte Kiener.
Keine Notwendigkeit für Entlassung
Die entscheidende Frage laute, so Kiener: Hätte die Asylsuchende überlebt, wenn die lebensrettenden Massnahmen sofort eingeleitet worden wären?
Gerichtsmediziner Holger Wittig sprach von «guten Chancen», die bestanden hätten. Aber mit Sicherheit könne er dies nicht sagen, zumal die Frau vor ihrem Auffinden fünf Minuten am Strang gehangen habe. «Der Tatbestand der fahrlässigen Tötung ist damit nicht erfüllt und Sie müssen freigesprochen werden», sagte Kiener.
Die Kosten im Vorverfahren müssten die Beschuldigten aber selber berappen, weil sie die Fürsorgepflicht verletzt hätten.
Am Ende der Urteilsbegründung bekräftigte Kiener, dass es «keinen Grund» gebe, an der Berufsqualität der vier Waaghof-Mitarbeitenden zu zweifeln. «Wir sind zwar nicht zuständig, aber wir bitten das Justiz- und Sicherheitsdepartement, auf eine Kündigung zu verzichten. Dafür gibt es keine Notwendigkeit.» (ck)
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