Mit einem neuen Modell sollen Wiedereintritte sinken
Klinik Sonnenhalde lanciert Pilotprojekt: Versicherer, Gesundheitsexperten und Wissenschaftler unterstützen den Ansatz.

Kurz und knapp
- Personal Health Coaching-Ansatz: Die Klinik Sonnenhalde plant ab 2026 ein Pilotprojekt, bei dem Patientinnen und Patienten nach dem stationären Aufenthalt sechs Monate lang begleitet werden, um Rückfälle und Wiedereintritte zu verhindern.
- Breite Unterstützung: Das Projekt wird von der Universität Basel wissenschaftlich begleitet und erhält Rückhalt von Politikern, Versicherern und Gesundheitsexperten – alle sehen darin einen nachhaltigen Ansatz, der dem Wohl der Patienten dient und gleichzeitig die Kosten senkt.
- Systemwandel im Gesundheitswesen: Durch den Nachweis von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit soll das Coaching langfristig in die Grundversicherung aufgenommen werden. Für die Finanzierung des Pilotprojekts hat die Sonnenhalde einen Unterstützungsbeitrag von zwei Millionen Franken beim Kanton beantragt.
Als die Sonnenhalde vor 125 Jahren in Riehen gegründet wurde, galt ihr Ansatz als revolutionär und innovativ: Damals noch eine Frauenklinik, wurden die Patientinnen mit psychischen Erkrankungen nicht einfach «weggesperrt», sondern ihre Probleme ernstgenommen. Offene Türen, humaner Umgang, kein Zwang, lautete der Pionieransatz.
Im Jubiläumsjahr 2025 will die Sonnenhalde auf diesem Pfad fortschreiten. Schon mehrfach (auch bei Prime News im Podcast «Wirtschaft on Air») hat Anja Oswald Missstände im Gesundheitswesen angeprangert und einen Paradigmenwechsel gefordert. Die «kostspielige Reparaturmedizin» sei kein Zukunftsmodell, betont die Ärztin und Klinik-CEO bei öffentlichen Auftritten.
Statt die Patienten stationär zu hohen Kosten zu behandeln und nach ihrer unbegleiteten Entlassung bald wieder erneut aufzunehmen – man spricht vom sogenannten «Drehtüreffekt» – brauche es eine effiziente Nachsorge. Schliesslich gäbe es auch kaum freie Behandlungsplätze bei niedergelassenen Psychiatern und Psychologen.

Rückfälle verhindern
Das ist der Kern eines Pilotprojekts, das die Sonnenhalde ausgearbeitet hat und das per 1. Januar 2026 starten soll. Konkret ist vorgesehen, dass Patientinnen und Patienten nach einem stationären Aufenthalt während sechs Monaten im Rahmen eines «Personal Health Coachings» begleitet werden. Dies mit dem Ziel, gesundheitliche Rückfälle und Wiedereintritte zu vermeiden. So soll es auch gelingen, jene Verhaltensweisen wirksam im Alltag anzuwenden, die den Betroffenen beim stationären Aufenthalten in der Sonnenhalde vermittelt werden.
«Wir sind überzeugt, dass das Programm sowohl aus Patientensicht wie auch volkswirtschaftlich Sinn macht», sagt Anja Oswald gegenüber Prime News. Der Personal Health Coach bleibe nach der Entlassung an der Seite der Betroffenen, strukturiere Kontakte, motiviere zu Bewegung und stärke die Gesundheitskompetenz.
Für sie liegt der Nutzen auf der Hand: «In den letzten Jahren ist die Rate der Wiedereintritte weiter angestiegen. Mit dem neuen Angebot können Rehospitalisationen verhindert werden und damit auch das Risiko, chronisch zu erkranken. Dabei kostet die sechsmonatige Begleitung etwa gleich viel wie zwei bis drei stationäre Tage.»
Prominente Unterstützung
Für die vierjährige Pilotphase hat die Sonnenhalde beim Kanton Basel-Stadt eine Finanzierung in der Höhe von zwei Millionen Franken beantragt. Die Hälfte des Betrags ist für die wissenschaftliche Begleitung durch das Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit der Universität Basel vorgesehen, um die Wirksamkeit des Personal Health Coachings zu untersuchen.
Ob das Gesuch und die Finanzierung seitens Kanton bewilligt wird, ist indes offen. Der Antrag liegt derzeit beim Basler Gesundheitsdepartement zur Prüfung.
Im Gesundheitswesen erhält das Sonnenhalde-Konzept derweil von verschiedener Seite Zuspruch. Dazu gehört zum Beispiel Werner Kübler. Der ehemalige Direktor des Universitätsspitals Basel ist inzwischen Präsident des Krankenversicherers Swica – und spricht sich dezidiert für das Pilotprojekt aus. Weshalb? «Weil mit der Idee des Personal Health Coachings zwei zentrale Elemente vereint werden: Versorgungsqualität und Kosteneffizienz», sagt Kübler im Gespräch mit Prime News.
Kübler verweist auf die stark gestiegenen Fallzahlen bei jungen Menschen mit psychischen Erkrankungen. «Gerade bei der jungen Bevölkerungsgruppe macht es einen riesigen Unterschied, ob man die Patienten nach dem ersten psychiatrischen Klinikaufenthalt einfach ins alte Umfeld entlässt oder ob man sie mit einem persönlichen Coaching im Alltag unterstützt. Gelingt das, sinkt die Rückfallquote – und damit die Wahrscheinlichkeit weiterer Spitalaufenthalte.»
Für den Swica-Präsidenten steht bei allen Massnahmen und Überlegungen im Gesundheitswesen das «wertorientierte Handeln» im Vordergrund. Diese Vorgabe erfülle das Sonnenhalde-Konzept optimal. Die Swica wolle sich deshalb für das Projekt starkmachen. Wie Sonnenhalde-CEO Oswald erklärt, hätten weitere Versicherer und auch die Gesundheitsförderung Schweiz ihre Unterstützung signalisiert.
Wissenschaftliche Evidenz untersuchen
Entscheidend bei dem vierjährigen Pilotprojekt wird sein, mit wissenschaftlichen Studien den Nutzen zu belegen. Nur in diesem Fall wird das Personal Health Coaching-Angebot dereinst in den Leistungskatalog der obligatorischen Krankenpflegeversicherung aufgenommen und von den Versicherungen vergütet.
In der Branche spricht man von den sogenannten «WZW»-Kriterien: eine Leistung muss demnach wirksam, zweckmässig und auch wirtschaftlich sein. Ob dies zutrifft, beurteilt in Bundesbern die eidgenössische «Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen».
Gesundheitsexperte Andreas Roos gehörte dieser Kommission jahrelang an – und auch er begrüsst den «innovativen Vorschlag», den die Sonnenhalde lanciert habe. Roos kennt das Gesundheitswesen sowohl aus der Perspektive der Leistungserbringer wie auch der Krankenversicherer. Nun unterstützt er die Klinik bei ihrem Vorhaben.
«Innovation muss in erster Linie Patientennutzen bedeuten – und diesbezüglich überzeugt mich das Programm der Sonnenhalde vollkommen», sagt Roos zu Prime News. Er halte es für wichtig, dass neuartige Ansätze in Form von wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekten durchgeführt und getestet würden. Damit könne im positiven Fall die Evidenz und der Beleg geliefert werden, dass die WZW-Kriterien erfüllt werden.
Roos zeigt sich gegenüber Prime News zuversichtlich: «Die Schweiz gilt als eines der innovationsstärksten Länder weltweit. Auch im Gesundheitswesen müssen wir diesen Anspruch einlösen – gerade bei Prozessinnovationen, welche die klassischen Sektorgrenzen überwinden. Wenn das Sonnenhalde-Programm im Pilot wirkt, ist dies eine wesentliche Voraussetzung, um den Sprung in die Grundversicherung zu schaffen.»
Kooperation mit der Uni Basel
Um das Personal Health Coaching-Pilotprojekt wissenschaftlich zu begleiten, ist die Sonnenhalde eine Zusammenarbeit mit dem Departement für Bewegung, Sport und Gesundheit der Universität Basel eingegangen. Dieses entwickelt seit mehreren Jahren Programme für den gesünderen Lebensstil von Patientinnen und Patienten und zur Ausbildung von Fachpersonal im Personal Health Coaching-Bereich.
Departementsvorsteher Markus Gerber, er ist Professor für Sport und Psychosoziale Gesundheit und leitet das Zentrum für Bewegungsberatung, verweist gegenüber Prime News auf bisherige Forschungskenntnisse. So habe sich gezeigt, dass körperliche Aktivität psychische Symptome lindern und Rückfälle reduzieren könne – aber nur, wenn sie dauerhaft beibehalten würden.
«Im stationären Setting funktionieren Sport- und Bewegungstherapien gut», sagt Gerber. «Doch nach der Entlassung bricht vieles weg. Das Personal Health Coaching setzt genau hier an: Es stabilisiert Routinen und erhöht so die Chance, dass die positiven Effekten eines gesunden Lebensstils anhalten». Beim Pilotprojekt mit der Sonnenhalde werde es darum gehen, die Wirksamkeit mit weiteren Fallzahlen fundiert zu belegen.
Auch alt Regierungsrat Eymann ist mit im Boot
Mit alt Regierungsrat und alt Nationalrat Christoph Eymann kann die Sonnenhalde einen weiteren Fürsprecher an ihrer Seite wissen. Im Gespräch mit Prime News unterstreicht der langjährige Politiker, dass er sich für das Pilotprojekt einsetzen wolle. Denn eigentlich sei es bemerkenswert, dass sich die Sonnenhalde für das Personal Health Coaching engagiere, zumal aus wirtschaftlicher Sicht mit stationären Aufenthalten mehr Umsatz erzielt werden könne.
«Genau das überzeugt mich: dass die Sonnenhalde in erster Linie an das Wohl der Patientinnen und Patienten denkt und nicht nur die rein finanziellen Aspekte berücksichtigt. Es ist bekannt, dass den Menschen sehr geholfen wird, wenn sie nicht in die Klinik zurückkehren müssen, weil sie dadurch vielleicht eine Stigmatisierung erfahren», sagt Eymann.
Abgrenzung zu Home-Treatment-Konzept der UPK
Bereits seit einigen Jahren bieten die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) das sogenannte «Home Treatment» an, das im Kern den gleichen Ansatz wie das Pilotprojekt der Sonnenhalde verfolgt. Dennoch könnten beide Konzepte nicht miteinander verglichen werden, sagt Sonnenhalde-CEO Anja Oswald. «Unser Programm ist nicht nur wissenschaftlich validiert und ein mehrfaches günstiger, sondern kann auch bei chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf und Diabetes erfolgsversprechend eingesetzt werden.» Damit könne das Pilotprojekt «zum Game-Changer und Start eines echten Paradigmenwechsels» im Gesundheitswesen werden. (ck)
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